Zapf: Methoden der Politischen Theorie

Zapf, Holger (2013): Methoden der Politischen Theorie. Eine Einführung. Opladen u. a.: Barbara Budrich. 120 Seiten. 12,90 €. Link.

Im englischsprachigen Raum begann in der Politischen Theorie bereits vor einiger Zeit eine interessante Methodendiskussion[1], die seit zwei bis drei Jahren auch in die deutschsprachige Debatte Eingang findet. Ausgehend von einer Konferenz im Herbst 2011[2] wird sich zunehmend damit beschäftigt, ob und welche Methoden die Politische Theorie nutzt bzw. für sich nutzbar machen sollte. Einigkeit besteht darin, dass es auch hier Methoden gibt, diese jedoch stärker reflektiert und in die Theoriebildung einbezogen werden sollten. Der Vorwurf der methodenfreien Zone „Politische Theorie“ wird von Zapf vehement zurückgewiesen und er versucht gar zu zeigen, dass „Methoden oder zumindest Methodenfragen allgegenwärtig sind“ (S. 6).

Der Autor versucht einen Überblick über die Methoden zu geben und stellt dabei besonders den Pluralitätsgedanken heraus. Politische Theorie sei nicht auf eine spezielle Methode zu reduzieren, sondern – ebenso wie in den empirischen Sozialwissenschaften – biete jeder methodische Zugang seine Vor- und Nachteile und es komme demnach auf das Erkenntnisinteresse der Arbeit an (S. 27).

Nach einer Auseinandersetzung damit, was Politische Theorie kennzeichne und was deren Gegenstandsbereich sei (S. 15-22), versucht Zapf die Gegenüberstellung von normativer Theorie und Empirie kritisch zu betrachten. Ihm geht es dabei v. a. darum, festzuhalten, dass zum einen normative Theorie ebenfalls auf Erfahrungen und Wissen beruhe, die als empirische Grundlage diene. Zum anderen impliziere die Trennung die veraltete Annahme der Wertfreiheit empirischer Forschung. Konzeptualisierung und Operationalisierung empirischer Forschung beruhe jedoch ebenfalls auf normativen Überlegungen (S. 29-34). Zapf versucht also, die Gegenüberstellung aufzulösen.

Nach einem sehr gut lesbaren Kapitel zum Forschungsprozess und –design, welches nicht nur für Studierende interessant sein dürfte, weil es systematisch die Arbeitsschritte (u. a. Erkenntnisziel, Relevanz, Methodik unter spezieller Berücksichtigung des Vergleichs) bei der Konzipierung einer theoretischen Arbeit vorstellt (S. 39-49), geht Zapf auf die verschiedenen Methoden ein. Wobei hier angemerkt sei, dass Zapf einen sehr weiten Methodenbegriff hat. So stellt er Klassiker wie Hermeneutik (S. 52-62) und historische Rekonstruktion (S. 73-77) ebenso vor, wie neuere Vorgehen wie die Diskursanalyse (S. 81-87) oder Dekonstruktion (S. 79-80) und heutzutage weniger genutzte Vorgehen wie eine Ideologieanalyse (S. 89-92). Dabei diskutiert er jeweils die Vor- und Nachteile der Methoden und verweist gekonnt auf ähnliche Vorgehen in verwandten Methoden wie z. B. darauf, dass eine begriffsgeschichtliche Herangehensweise nach R. Koselleck ebenso ideologiekritische Momente aufweisen kann, oder eine Diskursanalyse und eine qualitative Inhaltsanalyse Überschneidungspunkte besitzen können.

In den letzten zwei Kapiteln geht Zapf zunächst auf Probleme der normativen politischen Theorie ein und anschließend auf die aus seiner Sicht stark vernachlässigte Evaluations- und Wirkungsforschung innerhalb der Politischen Theorie. Zapf identifiziert drei Probleme, die es bei der normativen Theoriebildung zu beachten gilt. Das erste Problem sei die Fundierung oder Letztbegründung von Theorien, welche nur unzureichend möglich sei und daher Transparenz in der eigenen Begründung  der theoretischen Annahmen gewahrt sein sollte (S. 96-97). Das nächste Problem sieht er im Universalitätsanspruch normativer Theorien. Dabei lässt sich das Spannungsverhältnis aus Universalismus und Partikularismus letztendlich nicht lösen, sondern nur offen in der eigenen Arbeit diskutiert werden (S. 97-98). Schließlich verweist Zapf auf die Zielstellung einer Theorie als Problem. Er diskutiert – im Anschluss an R. Geuss’ Kritik der Politischen Philosophie[3] und J. Schaubs Unterscheidung von idealer und nicht-idealer Theorie[4] – ob normative Theorie gesellschaftliche Probleme zum Gegenstand haben und dabei notwendigerweise die Machtfrage stellen sollte oder ob es ausreichend ist, eine konsistente und abstrakte normative Theorie formulieren zu können (S. 98-99). Zapf stellt auch hier wieder heraus, dass es auf das Erkenntnisziel der Arbeit und die eigene Reflektionsfähigkeit ankomme und man keine pauschale Entscheidung zu (un)gunsten einer Richtung treffen könne. Schließlich stellt der Autor die Überlegung an, dass es nicht mehr länger nur darauf ankommen könne, dass Ideen und Theorien entwickelt werden, sondern auch wie diese die Realität beeinflussen bzw. auf sie einwirken (S. 107-110). Die Politische Theorie müsse sich diesem (empirischen) Feld ebenso widmen und dabei z. B. Methoden der Policy-Forschung aufgreifen oder fragen, wie Theorien deliberativer Demokratie in der Realität funktionieren.

Nach der Lektüre stellte sich mir die Frage, ob ein solches Einführungswerk alles behandeln sollte oder kann. So wäre eine stärkere Auseinandersetzung mit qualitativen Methoden hilfreich gewesen. Die im Buch angedeutete Grounded Theory[5] (z. B. auf S. 63) oder gar die objektive Hermeneutik nach Oevermann[6] hätten erwähnt und diskutiert werden können. Sie bieten hilfreiche Anknüpfungspunkte für die theoretische Vorgehensweise. Eine von Grounded Theory angeleitete Theoriebildung könnte aus meiner Sicht die Geuss’sche Kritik aufnehmen und anhand des Untersuchungsgegenstandes „realistische“ Theorieannahmen formulieren.

Zudem hätte der Autor die Ausgeglichenheit der Vorstellung der Methoden besser beachten können. Knapp zwei Seiten für die schwierige Methode der Dekonstruktion gegenüber etwa vier Seiten für die historische Rekonstruktion erscheinen zu ungleich. Mit einer stärker beispielhaften Vorstellung der Anwendung von Dekonstruktion in wissenschaftlichen Publikationen hätte diese Methode anschaulicher dargestellt werden können. Zudem wäre es hilfreich gewesen, auf weitere mögliche Methoden zu verweisen wie z. B. Dialektik, die jüngst durch einen Workshop der AG thematisiert wurde[7].

Trotz einiger kleiner Formalienfehler im Buch und der angesprochenen Erweiterungswünsche, lässt sich konstatieren, dass das gut lesbare Buch eine (Methoden-)Lücke in der deutschsprachigen Diskussion füllt und viele nützliche Tipps und Reflektionsanregungen bereithält. Besonders für Studierende und Promovierende ist es ein knapper Einstieg und bietet durch seine zahlreichen Referenzen viele Möglichkeiten, sich in die verschiedenen Methoden intensiver einzulesen. Für erfahrenere MethodikerInnen und eine vertiefende Lektüre ist überdies 2013 ein Sammelband zu „Ansätze[n] und Methoden zur Erforschung politischen Denkens“ erschienen.[8]



[1] u. a. Leopold, David / Stears, Marc (Hg.) (2008): Political Theory. Methods and Approaches. Oxford: University Press.

[2] Siehe das Schwerpunktthema in der Zeitschrift für Politische Theorie Heft 01/2012.

[3] Raymond Geuss (2012): Kritik der Politischen Philosophie. Eine Streitschrift. Hamburg: Hamburger Edition.

[4] Jörg Schaub (2010): Ideale und/oder nicht-ideale Theorie – oder weder noch? Ein Literaturbericht zum neuesten Methodenstreit in der politischen Philosophie. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 64 (3), 393–409

[5] u. a. Strauss, Anselm/Corbin, Juliet (1990): Basics of Qualitative Research. Grounded Theory. Procedures and Techniques. London u. a.: Sage.

[6]Oevermann, Ulrich (1983): Zur Sache. Die Bedeutung von Adornos methodologischem Selbstverständnis für die Begründung einer materialen soziologischen Strukturanalyse. In: Friedeburg, Ludwig von/Habermas, Jürgen (Hg.), Adorno‐Konferenz 1983. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 234‐289.

[8] Busen, Andreas/Weiß, Alexander (Hg.) (2013): Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens. Baden-Baden: Nomos.

 

 

Veröffentlicht von

Stefan Wallaschek

hat in Halle, Amsterdam und Bremen Politikwissenschaft und Ethnologie studiert. Er promoviert zu Solidarität in Europa in Zeiten der Krisen an der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS)/Universität Bremen. Zuletzt veröffentlichte er in der Zeitschrift für Politische Theorie den Artikel "Chantal Mouffe und die Institutionenfrage" (Heft 1/2017).

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