Brigitte Bargetz & Birgit Sauer: Politik, Emotionen und die Transformation des Politischen. Eine feministisch-machtkritische Perspektive

Eine Vorbemerkung: Nicht selten werden Begriffe wie „Affekte“, „Emotionen“ oder „Leidenschaften“ unreflektiert miteinander vermengt. Ich übernehme daher die Verwendungsweisen der Autor_innen. Brigitte Bargetz und Birgit Sauer sprechen synonym von Emotionen und Gefühlen und verstehen darunter „komplexe Prozesse der Wahrnehmung und des Handelns, die kulturell konstituiert und interpretiert und mithin kontextbezogen verstehbar sind. Mouffe verwendet in diesem Sinne den Begriff „Leidenschaften“ (passion), Grossberg hingegen „Affekt““ (Bargetz/Sauer 2010: 154).

Emotionen, Gefühle, Affekte – es sind Phänomene, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts unter der Deutungshoheit der Neurobiologie stehen. Der hier zugrundeliegende Materialismus (im philosophischen Sinn) scheint die Psychologie abgelöst zu haben und schreitet in der mathematisierten Kartierung unserer Hirne voran. Emotionen, Gefühle, Affekte – nur elektronische Impulse und Botenstoffe unter der Schädeldecke? Nicht zwingend, nicht ausschließlich. Nicht nur der populäre Neurobiologe Antonio Damasio hat den soziokulturellen Einfluss auf die Konstruktion unserer Emotionalität betont. Seit einigen Jahren erfährt die Affekt- und Emotionsforschung in den Sozialwissenschaften größeres Interesse und kontrastiert die hegemoniale Deutung naturwissenschaftlicher Forschung ohne diese völlig auszuschließen (vgl. Senge 2013: 20ff.). Eine besondere Berücksichtigung erfährt hierbei die Befragung gängiger Konzepte (Demokratie, Macht, Geschlecht, Gesellschaft, Subjekt, etc.) auf ihre affekttheoretischen Leerstellen.

Einen kritischen Beitrag zu einer solchen gegenhegemonialen Emotionsforschung leisten Brigitte Bargetz und Birgit Sauer von der Universität Wien. In verschiedenen Publikationen verbinden diese Emotionen und Gender Studies zu machtkritischen Analysen sich transformierender, kapitalistischer Gesellschaften, die eine Politik der Gefühle nicht bedenkenlos befürworten. Vielmehr sei die Emotionsdebatte selbst Ausdruck postdemokratischer Tendenzen (vgl. Bargetz/Sauer 2010: 142). Ich möchte folgend einen zentralen Gedanken ihres Aufsatzes aufgreifen, den des Gefühlsdispositivs.

Nach Bargetz und Sauer sind Gefühle nicht natürlich (materialistisch), sondern politisch-kulturelle Wahrnehmungsmuster, die sich in Sozialstrukturen manifestieren können (vgl. Ebd.: 143). Diese Annahme spiegelt sich in ihrer Diagnose eines bürgerlich-liberalen Gefühls- und Geschlechtsdispositiv wider. Sie argumentieren, dass die, für die Durchsetzung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft im 18. Jahrhundert charakteristische Aufteilung in eine männlich-öffentliche und einer weiblich-private Sphäre mit einem Bündel emotionalen Machttechnologien verbunden war. Durch die Individualisierung angetrieben, bewirkte dieses Dispositiv die Verlagerung solcher Gefühle in die Privatheit, die der kapitalistischen Rationalität und damit der Männlichkeit widersprachen (z.B. das sexuelle Begehren). Andere, wie die Habgier, blieben in der öffentlichen Sphäre, jedoch nicht als naturmäßige und irrationale Gefühle, sondern als aufklärerische Interessen oder Tugenden – solche die Frauen abgesprochen wurden (vgl. Ebd.: 143-144). „Das Gefühlsdispositiv erlaubte nämlich die „leidenschaftslose“ Regulierung und Realisierung von ökonomischen Interessen in einem „gefühlsdurchtränkten“ Raum“ – der Öffentlichkeit (Ebd.: 145).

Das Dispositiv wirkt fort, hat sich transformiert. Heute scheinen Emotionen verstrickt im neoliberalen Modell des Selbstmanagements, kanalisiert durch ein „Imperativ der Partizipation“ (vgl. Bröckling 2005: 22) und dessen Appellationen dringenden, individuellen Engagements, zugunsten eines liberalen Politikstils. Negiert bleiben solidarische Gegenmodelle gesellschaftlicher Teilhabe (vgl. Bargetz/Sauer 2010: 151). Bargetz und Sauer werfen Chantal Mouffe vor, eben solche regulativen Vereinnahmungen von Emotionen (bei Mouffe „Leidenschaften“) in ihrer agonalen Demokratietheorie nicht zu berücksichtigen und halten ihr eine Theorie emotionaler Gouvernementalität entgegen (vgl. Ebd.: 150-151). Auf Lawrence Grossberg rekurrierend betonten sie schließlich, dass Emotionen (bei Grossberg Affekte) nicht zwingend in solche Machtmechanismen eingebunden sein müssen, sondern auch Ausgangspunkt affektiven Widerstands sein können (vgl. Ebd.: 152-153).

Bargetz und Sauer scheinen einen gegenhegemonialen Kampf auf zwei Ebenen zu führen. Einerseits auf Ebene der Emotionsforschung, indem sie eine sozialkonstruktivistische Perspektive auf Emotionalität vertreten. Als historisch-kontingentes Konstrukt positionieren sie Gefühle zwischen Macht und Wissen, ohne näher zu explizieren wie sie das tun. Das Anliegen ihrer Arbeit scheint jedoch auch vielmehr in den diskursiven Effekten von Emotionen zu liegen.

Auf dieser zweiten, gründungsbedürftigen Ebene des sozialwissenschaftlichen Diskurses richten sich Bargetz und Sauer gegen ein positives Verhältnis zwischen Politik und Emotionen und somit gegen eine zu gestaltende Politik der Gefühle (vgl. Heidreich/Schaal 2013: 9-11). Hierin liegen der Wert des Gefühlsdispositivs und das Potential ihrer anderen Analysen: Die Erkenntnis, dass Emotionen in politischen Kämpfen genutzt werden, z.B. zwischen Geschlechtern. In gewisser Weise gehen sie über Chantal Mouffe hinaus, sind Emotionen und Leidenschaften nicht ausschließlich notwendiger und zugleich zu zähmender Bestandteil demokratischer Politik (vgl. Mouffe 2007: 25ff.). Vielmehr waren sie immer schon in der zu Diskursen sich aufwerfenden Mikrophysik wirkmächtig, wie Bargetz und Sauer anhand des Geschlechtsdispositivs erahnen lassen (vgl. Bargetz/Sauer 2010: 144). Emotionen, Gefühle, Affekte – auf dieser zweiten Ebene sind es kritikbedürftige Mechanismen der Subjektkonstitution und zugleich Ansatzpunkte für eine Praxis nicht dermaßen regiert zu werden (vgl. Foucault 1992: 15).

Es stellt sich die Frage, an welchen Stellen und in welcher Weise Gefühlsdispositive arbeiten, wie sie sich transformieren und wie Praxen der Kritik jene Dispositive gegen sich selbst richten. Wie wirken sie subjektkonstitutiv in neoliberaler Disziplinierung des Selbstmanagements, wie in im weiten Feld von Bildung und Pädagogik? Um diesen Fragen nachgehen zu können, ist sich der herrschaftlichen Trennung von aufklärerischer, rationaler, männlicher, weißer Politik und natürlichen, chaotischen, weiblichen und wilden Gefühlen bewusst zu werden – einem politischen Herrschaftsmechanismus, „der politische Handlungsräume begrenzt und es ermöglicht, spezifische Gruppen und deren Interessen aus dem Raum des Politischen zu exkludieren“ (Bargetz/Sauer 2010: 145; vgl. Heidenreich 2012: 9).

 

Literatur

  • Bargetz, Brigitte; Sauer, Birgit (2010): Politik, Emotionen und die Transformation des Politischen. Eine feministisch-machtkritische Perspektive, In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), Jg. 39 (2), S. 141-155.
  • Bröckling, Ulrich (2005): Gleichgewichtsübungen. Die Mobilisierung des Bürgers zwischen Markt, Zivilgesellschaft und aktivierendem Staat, In: spw (2), S. 19-22.
  • Foucault, Michel (1992): Was ist Kritik? Berlin: Merve.
  • Heidenteich, Felix; Schaal, Gary S. (2013): Zur Rolle von Emotionen in der Demokratie, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 63 (32-33), S. 3-11.
  • Heidenreich, Felix (2012): Versuch eines Überblicks: Politische Theorie und Emotionen, In: Felix Heidenreich; Gar S. Schaal (Hg.): Politische Theorie und Emotionen. Schriftenreihe der Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, Baden-Baden: Nomos, S. 9-28.
  • Mouffe, Chantal (2007): Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • Senge, Konstanze (2013): Die Wiederentdeckung der Gefühle. Zur Einleitung, In: Konstanze Senge; Rainer Schützeichel (Hg.): Hauptwerke der Emotionssoziologie, Wiesbaden: Springer VS, S. 11-32.

Veröffentlicht von

Frederik Metje

Frederik Metje hat in Kassel und Mumbai Politikwissenschaft, Philosophie, Geschichte und Erziehungswissenschaft studiert, ist Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung und assoziiertes Mitglied des Fachgebiets Didaktik der Politischen Bildung an der Universität Kassel. Er promoviert zu einer affekttheoretischen Lesart von Grenzerfahrungen und ihrer Relevanz für politische Bildungsprozesse. Sein Interesse gilt Politischer Theorie, poststrukturalistischer Sozialphilosophie, Affekt- und Emotionsforschung, Ansätzen von Kritik und Emanzipation sowie Fragen politischer Bildung. Frederik Metje ist seit 2013 Mitglied der AG Politische Theorie und der DNGPS.